BAND 32: Die Lilie im Tal, S. 89 – 129
Auf Felix‘ Beichte folgt eine Beichte der Gräfin. Die beiden stellen fest, dass sie ähnlich schlimme Kindheiten hatten. Bei ihr kommt allerdings noch die Qual der Ehe mit einem schwächlichen Grantler hinzu: „Bei dem ersten Ausbruch seiner Wahnsinns- und Zornanfälle war sie zusammengebrochen. Wieviel harte Überlegungen hatte sie nicht anstellen müssen, ehe sie dazu kam, ihren Mann als Null zu betrachten“. Natürlich ist einem nicht mit der Erkenntnis geholfen, was für Loser diejenigen sind, von denen man kontrolliert wird.
Bei all diesen Klagen ist die Gräfin erstaunlich hellsichtig. Denn der Umstand, an einen grässlichen Gatten gefesselt zu sein, heißt ja nicht automatisch, dass es mit anderen Männern besser gelaufen wäre: „Wenn ich irgendeinen Verschwender geheiratet hätte, hätte er mich ruiniert. Wenn ich irgendeinem jungen leidenschaftlichen und wollüstigen Menschen gegeben worden wäre, hätte er Erfolg gehabt, aber vielleicht hätte ich ihn nicht halten können, und er hätte mich verlassen. Ich wäre vor Eifersucht gestorben.“
Deshalb ist auch klar, dass Felix für sie nur ein Heiliger sein kann, jede Form von emotionalem Übergriff ist verboten. Das erklärt sie ihm unter Tränen, die er auffängt und trinkt. So eine Art archaische Kommunion, man nimmt, was man kriegen kann. Anfangs ist Felix noch euphorisch, dass er eine derartige Sonderstellung bei seiner Liebsten hat. Als einziger darf er sie fortan Henriette nennen. Doch jedes Mal, wenn seine Libido mit ihm durchgeht, wird er zurechtgewiesen: „Lieben Sie mich, wie meine Tante mich liebte“, sagt sie, ein andermal soll seine Liebe die eines alten Beichtvaters sein. Das ist freilich nicht viel.
Schließlich begnügt sich Felix damit, ihre Hände zu küssen (natürlich nur den Handrücken, die Innenseite ist viel zu intim), und Blumensträuße für sie zu pflücken. Allerdings legt er bei der Auswahl der Blumen zuviel Leidenschaft an den Tag, die Botschaft des Gestrüpps ist zu eindeutig: „Die Liebe hat ihr Wappen, und die Gräfin entzifferte es heimlich. Sie warf mir einen ihrer durchdringenden Blicke zu, gleich dem Schrei eines Kranken, dessen Wunde berührt wird.“
Die Gute ist aber auch empfindlich.
Beste Stellen:
Wenn Henriette dem Verehrer ihre Tochter Madeleine anbietet, um ihn zu beschwichtigen. Wofür hat man schließlich Kinder?
Die folgende Weisheit, anzuwenden in ganz verschiedenen Bereichen: „Der Sklave hat auch seine Eifersucht, er will nur dem größten Despoten gehorchen.“
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